Jakobsweg: Tag 15 oder Zeit zum Reflektieren
Es sind gerade mal 15 Tage vergangen, aber es fühlt sich von den Erlebnissen wie 2 Monate an. Leider bin ich immer noch krank und habe die ganze Nacht ein Hustenkonzert gegeben. Ich hoffe meine Mitpilger verzeihen es mir. Um nichts zu riskieren bin ich die vorletzte Etappe nochmal mit dem Bus gefahren. Das macht mich ein bisschen traurig. Ich wollte gehen. Aber das Leben hält manchmal andere Dinge bereit: Tolle Menschen, die sich liebevoll um einen kümmern, wenn man krank in der Herberge liegt und die auch sagen, man solle lieber den Bus nehmen. Na gut. Jetzt sitze ich hier in Pedrouzo im Café und habe noch viel Zeit vom Tag übrig.
Was hat der Camino für mich bereitgehalten:
Tolle Menschen: Menschen aus unterschiedlichsten Nationen, die mich und meinen Weg bereichert haben und immer noch bereichern. Ohne diese Menschen wäre ich sehr viel alleine gewesen, hätte weniger gelacht und mich sicher mehr gequält als nötig. Ich habe viele schöne und ernste Gespräche geführt, meine Geschichte offen geteilt und Kontakte geknüpft, die ich gewiss wiedersehen werde wenn ich zurück im Alltag bin.
Tolle Natur: Die letzten Tage ging es vor allem über Asphaltstraßen, was leider weniger schön war. Anfang und Mittelteil des Camino waren allerdings traumhaft schön und abwechslungsreich. Ich habe es geliebt alleine an kleinen Bächen entlang zu laufen und das volle Grün der Natur zu genießen. Aussichten nach langen Aufstiegen waren toll. Berge, Nebel im Tal, unberührte Natur, kleine Dörflein.
Anstrengende aber befriedigende Tage: Ich bin körperlich immer wieder an meine Grenzen gekommen und habe sie doch überwunden. Ich habe die Hospitales Route in 1200 m geschafft und war abends oft sehr glücklich, geschafft und zufrieden. Körperliche Bewegung den ganzen Tag lang macht mich frei im Kopf. Das möchte ich auch zukünftig mehr haben und vielmehr reisen und unterwegs sein mit nur dem Nötigsten
Noch mehr Körperbewusstsein: Ich bin zwar über meine körperlichen Grenzen gegangen, weiß aber auch jetzt noch besser, wann wirklich Schluss ist. Die Blasen habe ich überstanden und bin auch mit Schmerzen weitergelaufen. 33 km Wandern mit Erkältung ist dagegen wirklich keine gute Idee. Auf ei e Herzmuskelentzündung kann ich verzichten.
Stilles und lautes Gruppengefühl: ich weiß um so mehr, dass ich eigentlich kein Gruppenmensch bin. Dann werde ich oft ganz still. Habe eine Blockade im Kopf während andere munter Geschichten erzählen. Ich kann das nicht und laufe mit dem Glaubensatz rum nichts spannendes zu erzählen zu haben. Früher habe ich Gruppen gemieden oder mich den ganzen Abend unwohl gefühlt. Heute bin ich entspannt und höre eher zu. Ich lache herzhaft mit über die Scherze der Anderen. Ich bin still, aber trotzdem da. Nichtsdestotrotz macht es mich traurig, dass ich dann nicht so sein kann wie ich gerne wäre: eine gute Erzählerin.
Alleinsein: Ich bin gerne für mich und mache mein eigenes Ding. In Gruppen verliere ich schnell meine Selbständigkeit. Verlasse mich auf die anderen. Ich mag es mich komplett frei und selbständiger fühlen. Das hat mir schon oft Auftrieb gegeben und mir aus dem ein oder anderen Loch geholfen.
Reiselust: ich möchte reisen, wandern, mehr entdecken und das als Alleinreisende: Brügge, Paris, den GR-221 in Mallorca wandern
Verbundenheit: eine innere Ruhe und ein Gefühl von hiersein. Etwas, dass ich immer wieder gespürt habe und hoffentlich in den Alltag mitnehmen kann
Morgen kommt das große Finale. Noch 20 km wandern bis nach Santiago de Compostela. Ich habe gemischte Gefühle. Ich freue mich auf das Ziel und bin doch traurig, dass es dann vorbei sein wird und jeder wieder seinen ganz eigenen Weg geht. Aber ich werde dort auch Menschen wiedersehen, die ich auf dem Weg „verloren“ habe.
Bis morgen!
Mela <3